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Kategorie: Zivilrecht

Privatgutachten als Beweis für Schadensersatz aus Verkehrsunfall

Unfall, Gutachten, Berücksichtigung, Gericht, Klage, Schadensersatz, Schmerzensgeld


BGH, Urteil vom 10.10.2000, Az. VI ZR 10/00

Leitsatz:

Zu den Pflichten des Tatrichters, ein von der Partei eingereichtes Privatgutachten zu berücksichtigen.

Tatbestand gekürzt:
Die Klägerin macht Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls geltend, wobei die Pflicht zum Schadensersatz der Beklagten außer Streit steht. Die Klägerin trägt vor, der nicht vorfahrtberechtigte Beklagte sei an einer Kreuzung mit einer zu hohen Geschwindigkeit auf ihren Pkw aufgeprallt. Das habe bei ihr Verletzungen im Kopf- und Schulterbereich bewirkt. Sie behauptet, sie leide seit dem Unfall unter Schmerzen im Schulter-, Arm- und Halsbereich sowie unter Kopfschmerzen, teilweise unter heftigen Schmerzattacken mit Schwindelgefühl und Sehschwierigkeiten. Ihren linken Arm könne sie kaum benutzen. Sie führt diese Beschwerden auf den Unfall zurück und hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von Schadensersatz sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes. Die Klägerin hatte zur Begründung ihrer Ansprüche bei Gericht ein Privatgutachten eingereicht.

Aus der Urteilsbegründung:
"(...) 1. Mit Recht rügt die Revision, daß in der Gerichtsakte die Stellungnahme des Privatgutachters Dr. F. fehlt, obwohl sie nach dem Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin vom 12. November 1999 diesem Schriftsatz beigefügt sein sollte und ersichtlich auch den Beklagten zugegangen ist, wie aus deren Erwiderungsschriftsatz vom 17. November 1999 hervorgeht.

Bei dieser Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß das Berufungsgericht diese Stellungnahme, die bezeichnenderweise in dem angefochtenen Urteil nicht erwähnt wird, nicht zur Kenntnis genommen hat. Das stellt einen durchgreifenden Verfahrensfehler dar, weil es sich bei dieser Stellungnahme des Privatgutachters, welche die Revision nunmehr vorlegt, der Sache nach um qualifizierten, urkundlich belegten Parteivortrag der Klägerin handelt, den das Berufungsgericht hätte berücksichtigen müssen. Hierfür spielt es keine Rolle, ob die Stellungnahme des Privatgutachters dem Schriftsatz der Klägerin vom 12. November 1999 tatsächlich zunächst beigefügt war und nur versehentlich nicht in die Akten gelangt ist oder ob sie von vornherein gefehlt hat. In jedem Fall hätte das Berufungsgericht nämlich dem Schriftsatz entnehmen müssen, daß mit ihm eine "ausführliche Stellungnahme" des Privatgutachters vorgelegt werden sollte, und hätte, wenn diese sich nicht in der Akte befand, die Klägerin hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit zur erneuten Einreichung der Stellungnahme geben müssen.

2. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß das angefochtene Urteil auf diesem Mangel beruht. Das Berufungsgericht wäre nämlich gehalten gewesen, die Stellungnahme des Privatgutachters, mit welcher dieser die Kritik des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T. an seiner vorangegangenen Stellungnahme zu widerlegen suchte, nicht nur selbst zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch an den gerichtlichen Sachverständigen weiterzuleiten und, soweit der Inhalt der Stellungnahme dies erforderlich machte, in der gebotenen Weise auf eine Ergänzung des gerichtlichen Gutachtens hinzuwirken. Einem sich etwa ergebenden Widerspruch zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und dem Privatgutachter hätte das Berufungsgericht nach den vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nachgehen müssen . Insoweit ist revisionsrechtlich davon auszugehen, daß ein solcher Widerspruch, wie die Revision ihn aus dem Inhalt der nunmehr vorgelegten Stellungnahme herleiten will, vorliegt und daß deshalb eine Vervollständigung der Beweisaufnahme erforderlich gewesen wäre.

III. Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Berücksichtigung der Stellungnahme des Privatgutachters sich auf die Beurteilung des Rechtsstreits ausgewirkt hätte. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es der Klägerin nachteilig ist, damit das Privatgutachten in der verfahrensrechtlich gebotenen Weise Berücksichtigung findet."