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Kategorie: Schmerzensgeld

Haftung für Schäden aus Unfall auf einer Treppe

Verkehrssicherung, Pflicht, Amtshaftung, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Sachverständige


BGH, Urteil vom 24.01.2002, Az. III ZR 103/01

Leitsatz:

Zur Verkehrssicherungspflicht für eine Treppe, die zu einer Fußgängerunterführung gehört.

Tatbestand gekürzt:
Der Kläger gebing bei Regenwetter eine zum Gehweg der Straße gehörende Treppe, um die Straße zu unterqueren. Beim Hinabsteigen stürzte er und erlitt schwere Verletzungen. Mit der Behauptung, die Treppenstufen seien wegen freiliegender Metallkanten nicht rutschsicher gewesen und an der von ihm benutzten rechten Treppenseite habe ein Handlauf gefehlt, verlangt er von der Beklagten Schadensersatz einschließlich Schmerzensgeld wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Die Beklagte hält die Treppe für hinreichend sicher und bestreitet den Unfallhergang mit Nichtwissen.

Aus der Urteilsbegründung:
"(...) 1. Ansprüche wegen einer möglichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für die hier in Rede stehende Treppenanlage beurteilen sich nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG). Die Straßenverkehrssicherungspflicht ist in Rheinland-Pfalz hoheitlich ausgestaltet; haftende Körperschaft ist die Beklagte. Die Bundesrepublik Deutschland, der der Kläger den Streit verkündet hat und die der Beklagten im ersten Rechtszug beigetreten ist, hat in ihrer Klageerwiderung dazu folgendes ausgeführt: Nach § 13 Abs. 2 FStrG hat bei höhenungleichen Kreuzungen, wie hier bei einer Unterführung, der Baulastträger der Bundesfernstraße das Kreuzungsbauwerk zu unterhalten, während die übrigen Teile der Kreuzungsanlage von dem Baulastträger der Straße zu unterhalten sind, zu der sie gehören. Der Treppenabgang im vorliegenden Fall gehört nicht zu dem Kreuzungsbauwerk, das der Baulastträger der Bundesfernstraße zu unterhalten hat. Dieses umfaßt nach § 2 der Verordnung über Kreuzungsanlagen im Zuge von Bundesfernstraßen in der Fassung vom 2. Dezember 1975 nur die Widerlager mit Flügelmauern, die Pfeiler, den Überbau mit Geländern, Brüstungen und Auffangvorrichtungen. Die Unterhaltungslast des Baulastträgers der Bundesfernstraße ist also auf das Kreuzungsbauwerk selbst beschränkt, während die Rampen, Treppen, Fahrbahnbeläge und dergleichen von dem Baulastträger der Straße zu unterhalten sind, zu der sie gehören. Vorliegend gehören die Treppenabgänge zu dem unterführenden Gehweg, der gemäß § 5 Abs. 3 FStrG in der Unterhaltungslast der Stadt B. K. steht. Mithin hat die Beklagte auch den Treppenabgang der Fußgängerunterführung zu unterhalten, so daß ihr auch die Verkehrssicherungspflicht für diesen Teil der Kreuzungsanlage obliegt.

Dies wird von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellt und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2. Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Treppenanlage sei zum Unfallzeitpunkt ausreichend trittsicher gewesen, greift die von der Revision erhobene Verfahrensrüge durch.

a) Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß die an den Vorderkanten der Stufen befindlichen freiliegenden Metallschienen ursprünglich mit dem gleichen rauhen Oberflächenbelag aus Quarzsand überzogen gewesen waren, wie er auf den Betonflächen der Stufen, den eigentlichen Auftrittsflächen, noch heute vorhanden ist. Daraus zieht die Revision die zutreffende Folgerung, daß schon die Beklagte selbst bei der Herstellung der Treppe diese Sicherung auf den Schienen für erforderlich gehalten hatte. Ob durch die "Riffelung", die in der Fotodokumentation des vom Kläger eingeschalteten Privatgutachters auf einzelnen Bildern bei den Schienen schwach erkennbar ist, eine nennenswerte Rutschsicherheit gewährleistet werden konnte, erscheint dem Senat zweifelhaft. Diese Frage läßt sich jedenfalls nicht schon allein anhand der Fotos beurteilen, sondern bedarf gegebenenfalls der Aufklärung durch Sachverständigengutachten.

b) Der Privatgutachter hat festgestellt, daß auf der Treppenanlage sogar bei trockener Witterung und bei Benutzung strapazierfähigen, derben Schuhwerks Rutschgefahr bestand. Zwar hatte die Beklagte der Verwertung dieses Gutachtens widersprochen; gleichwohl war es als substantiierter Parteivortrag zu beachten und zu würdigen. Über dieses, noch dazu durch Gutachten eines weiteren Sachverständigen und durch sachverständiges Zeugnis des Privatgutachters unter Beweis gestellte Vorbringen des Klägers durfte sich das Berufungsgericht nicht mit der Begründung hinwegsetzen, schon aus der Fotodokumentation sei ohne weiteres erkennbar, daß eine Rutschgefahr nicht bestanden habe. Im vorliegenden Fall hat das Vorbringen des Klägers, an der Unfallstelle habe eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr des Ausrutschens bestanden, jedenfalls so viel Substanz, daß ihm und den darauf bezogenen Beweisantritten hätte nachgegangen werden müssen. Dies gilt auch bei voller Würdigung des vom Berufungsgericht - an sich zutreffend - hervorgehobenen Grundsatzes, daß Treppen nicht schlechthin gefahrlos und nicht frei von allen Mängeln sein müssen und daß der Verkehrssicherungspflichtige in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise nur diejenigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen hat, die für den Benutzer, der seinerseits die erforderliche Sorgfalt walten läßt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Die Eigenverantwortung der Treppenbenutzer, auf die das Berufungsgericht maßgeblich abhebt, darf indessen nicht den Blick dafür verstellen, daß vor allem diejenigen Personen, die eine Treppe hinabsteigen, durch einen Sturz bedroht sind. Insoweit muß der Verkehrssicherungspflichtige auch ein naheliegendes Fehlverhalten von Benutzern berücksichtigen. Von dem vom Berufungsgericht als vergleichbar angesehenen Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 1965 zugrunde gelegen hatte, unterscheidet sich der hier zu beurteilende in dem wesentlichen Punkt, daß hier die besondere Gefahrenlage durch das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten experimentell bestätigt worden ist.

3. a) Unstreitig ist die in Rede stehende Treppenanlage nur an der in Gehrichtung des Klägers gesehen linken Seite mit einem Handlauf versehen. Das Berufungsgericht läßt offen, ob unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht auch an der anderen Seite ein zweiter Handlauf erforderlich gewesen war. Dieses Erfordernis ließ sich in der Tat nicht unmittelbar aus § 30 Abs. 7 LBauO-RhPf in der seinerzeit gültigen Fassung herleiten. Diese Bestimmung besagte lediglich, daß bei besonders breiten Treppen Handläufe auf beiden Seiten und Zwischenhandläufe gefordert werden konnten. Sie bildete also eine Ermächtigungsgrundlage für die Bauaufsichtsbehörde, eine derartige bauliche Maßnahme anzuordnen. Solange dies nicht geschah, bestand eine unmittelbare baurechtliche Notwendigkeit für einen zweiten Handlauf nicht. Dies schließt es aber - wie schon das Landgericht mit Recht ausgeführt hat - nicht aus, daß die Beklagte aus allgemeinen Gesichtspunkten der Verkehrssicherungspflicht je nach den Umständen des Einzelfalles gleichwohl gehalten gewesen sein konnte, eine derartige Vorsichtsmaßregel zu treffen. Das Berufungsgericht hat dies nicht im einzelnen aufgeklärt; nach dem der revisionsrechtlichen Beurteilung zugrundeliegenden Vorbringen des Klägers ist somit zu seinen Gunsten von dieser Notwendigkeit auszugehen. (...)"