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Kategorie: Schmerzensgeld

Schmerzensgeld für Dekubitus durch nachlässige Pflege

Pflegeheim, Verschulden, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Verschulden


Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 17.12.1999
OLG Oldenburg, Urteil vom 14.10.1999, 1 U 121/98

35.000,- DM Schmerzensgeld für Dekubitus durch nachlässige Pflege im Altenheim

Zusammenfassung: Wenn bei einem bettlägerigen Pflegefall ein Dekubitus in Form eines Hautrisses festgestellt wird, muss dieser sorgfältig behandelt und beobachtet werden. Der Patient muss alle 2- bis 3 Stunden umgelagert werden (Dekubitusprophylaxe). In einem Fall, in dem dies in einem Pflegeheim versäumt worden war, entstand bei einer senilen 65-Jährigen ein Dekubitus 4. Grades am Steißbein, der operiert werden musste. Wegen der faustgroßen Wundhöhle musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. Das Oberlandesgericht verurteilte den Inhaber des Pflegeheims zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 35.000,- DM.

Langinformation:
Eine an Alzheimer erkrankte 65-Jährige wurde in einem privaten Heim gepflegt. Im Januar 1998 wurde sie in ein Krankenhaus eingeliefert, wo man im Bereich des Steißbeins einen Dekubitus 4. Grades mit abgestorbenem Gewebe (Nekrosen) auf einer Fläche von 10 cm mal 5 cm feststellte. Ein Teil des Steißbeins war bereits dabei, sich aufzulösen. Sie wurde operiert, das abgestorbene Gewebe und ein Teil des Steißbeins wurden entfernt. Wegen der faustgroßen Wundhöhle musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden.

Die 65-Jährige (vertreten durch ihren Ehemann) kündigte unter Berufung auf mangelhafte Pflege den Vertrag mit dem Heim fristlos und verklagte den Inhaber des Pflegeheims auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Der Inhaber des Pflegeheims behauptete, sie sei ordnungsgemäß gepflegt worden. Vor der Einweisung in das Krankenhaus sei kein Dekubitus festgestellt worden. Er verlangte deshalb widerklagend die Pflegekosten bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine ordentliche Kündigung möglich gewesen wäre.

Das Landgericht Oldenburg kam zu dem Ergebnis, dass der Dekubius durch mangelhafte Pflege entstanden war, und verurteilte den Inhaber des Heims zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000,- DM. Im übrigen wies es die Klage und die Widerklage ab.

Mit der Berufung vor dem Oberlandesgericht begehrte die Klägerin ein höheres Schmerzensgeld. Der Inhaber des Heimes trug nun vor, der Dekubitus "verdeckt" gewesen. Er sei durch einen Riss in der Haut entstanden, der rechtzeitig von seinem Personal bemerkt und ordnungsgemäß mit Salben behandelt worden sei. Er legte ebenfalls wegen der Abweisung seiner Widerklage auf Zahlung der restlichen Pflegekosten Berufung ein.

Das Oberlandesgericht Oldenburg wies die Berufung des Beklagten ab und gab derjenigen der Klägerin statt. Es verurteilte den Inhaber des Heimes zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 35.000,- DM. Zur Begründung ist ausgeführt, dass nach dem Sachverständigengutachten bereits im November 1997, als die 65-Jährige in das Heim kam, ein Dekubitus 2. Grades (d.h. in Form eines Hautdefekts) vorgelegen hatte. Das Heim hätte die 65-jährige, weil sie inkontinent war, bereits damals gründlich untersuchen und wegen des Risses in der Haut unverzüglich einem Arzt vorstellen müssen. In der Folgezeit hätte eine Dekubitusprophylaxe betrieben, d.h. die Klägerin hätte alle 2 bis 3 Stunden umgelagert werden müssen. Dies war unstreitig nicht geschehen. Schließlich sei grob fehlerhaft, dass das Heim keinen Arzt geholt hatte, als sich der Riss nicht besserte.

Das OLG hielt ein Schmerzensgeld von 35.000,- DM für angemessen. Dabei berücksichtigte es zum einen die schweren Folgen für die Klägerin: Die Wunde war bis Oktober 1999 noch nicht vollständig ausgeheilt. Weil die Klägerin senil ist, müssen ihre Hände fixiert werden, damit sie sich den Beutel am künstlichen Darmausgang nicht abreißt. Dies ist besonders belastend, weil sie aufgrund ihrer Alzheimer-Erkrankung unruhig ist. Zum anderen sei - mindernd - zu berücksichtigen, dass die Lebensqualität der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung bereits stark eingeschränkt war. Erhöhend wirkte sich schließlich aus, dass der beklagte Inhaber des Heims im Prozess falsch vorgetragen hatte.