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Kategorie: Schmerzensgeld

Pflicht zur Verkehrssicherung

Kinder, Schleifarbeiten, Handwerker, Haftung, Sicherung, Unfall, Schadensersatz, Schmerzensgeld


Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 29.04.1999
OLG Oldenburg, Urteil vom 22.4.1999, 8 U 230/98

Verkehrssicherungspflicht bei Entrostungsarbeiten

Zusammenfassung:
Wenn sich bei Entrostungsarbeiten mit einem Winkelschleifer gelegentlich Stahlteile von der aufgesetzten Drahtbürste lösen, muss der Arbeitende verhindern, dass kleine Kinder, die beim anschließenden Streichen helfen dürfen, während der Schleifarbeiten in seine Nähe kommen. Andernfalls haftet er, wenn das dazukommende Kind durch ein Stahlteil verletzt wird.

Langinformation:
Ein 6jähriges Mädchen, das in einem ostfriesischen Dorf lebt, war oft bei den Nachbarn, wobei sie etwaige Anordnungen des Nachbarn immer befolgt hatte. Die benachbarten Grundstücke waren durch eine Mauer getrennt, in der sich eine Verbindungstür befand. Im August 1996 arbeitete der Nachbar an einem Zaun. Beim Anstreichen half ihm das Mädchen. Die Entrostungsarbeiten führte er mit einem Winkelschleifer ("Flex") aus. Dabei schickte er das Mädchen nach Hause und sagte ihr, sie müsse hinter der Tür waren, bis er mit dem Entrosten fertig sei. Er wusste nämlich, dass sich beim Schleifen kleine Stahlteile von der Drahtbürste, die auf dem Winkelschleifer befestigt war, lösen könnten. Das Mädchen hielt sich auch an seine Anweisung.

Ein oder zwei Tag später führte er erneut Entrostungsarbeiten aus, und zwar an einem Zaunelement, das er auf zwei Böcken vor seiner Garage aufgestellt hatte. Bevor er mit den Arbeiten begann, schickte er das Mädchen nach Hause. Er erlaubte ihm aber, beim anschließenden Streichen zu helfen.

Nach dem Abendbrot kehrte das Kind durch die Verbindungstür zurück. Der schleifende Nachbar bemerkte dies nicht, weil er gerade mit dem Rücken zur Tür stand. Im selben Moment löste sich eine Stahlborste von der an dem Winkelschleifer befestigten Drahtbürste und flog dem Kind in das rechte Auge.

Das Mädchen musste mehrfach operiert werden, ist jedoch durch die Verletzung auf dem rechten Auge praktisch erblindet. Unter Umständen muss später das rechte Auge vollständig entfernt werden.

Das Landgericht Aurich hat auf die Klage des Mädchens hin den Nachbarn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 30.000,- DM verurteilt und festgestellt, dass er verpflichtet ist, dem Kind zukünftig entstehende Schäden zu ersetzen.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Berufung des Nachbarn gegen das Urteil des Landgerichts mit Urteil vom 22.4.1999 zurückgewiesen.

In den Entscheidungsgründen wird zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verwiesen, nach der ein Grundstückseigentümer dann wirksame Schutzmaßnahmen ergreifen muss, wenn ihm bekannt ist (oder sein muss), dass Kinder - sogar trotz Verbots - sein Grundstück etwa zum Spielen benutzen, und die Gefahr besteht, dass sie dort Schaden erleiden können. Es wird dann ausgeführt, dass dieser Grundsatz hier Anwendung finde. Wörtlich heißt es dann:

"Der Beklagte durfte nicht darauf vertrauen, dass die Klägerin seiner bei den schon einen Tag oder zwei Tage vor dem Unfall ... gegebenen Anweisung, vor der Tür ... zu warten, auch am Unfalltag Folge leisten würde. ... der Beklagte [musste] in Betracht ziehen, dass die Klägerin die einmal gegebene Anweisung aus kindlicher Neugierde nicht mehr beachtete, die Tür öffnete und damit in den unmittelbaren Gefahrenbereich gelangte. Ein solches gerade für Kinder im Vorschulalter typisches Verhalten war trotz des Umstandes, dass die Klägerin dem Beklagten als folgsames Kind bekannt war, nicht völlig ausgeschlossen. Unter diesen Umständen hätte der Beklagte die Verbindungstür zu dem Nachbargrundstück verriegeln müssen, um jegliche Gefährdung der Klägerin zu verhindern. Denn er konnte angesichts der Lautstärke der Arbeiten .. akustisch eine Annäherung der Klägerin und Betätigung der Verbindungstür nicht wahrnehmen. Es war auch nicht gewährleistet, dass der Beklagte jederzeit eine Betätigung der Tür durch die Klägerin sehen konnte ... . Denn der Beklagte stand ... gerade in dem Augenblick, als der Unfall passierte, mit dem Rücken zu der Verbindungstür."