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Kategorie: Ehe- und Familienrecht

Kein Anspruch des Asylbewerbers auf Zusammenleben mit seiner Familie

Asyl, Familie, Frau, Kinder, Ehe, Grundrecht, Verletzung, Anspruch, Zusammenführung, Kurde, Türkei, Anträge, Ablehnung


Pressemitteilung des BVerfG vom 12.08.1998, Nr. 90/1998
Beschluss vom 24.07.1998, Az. 2 BvR 99/97

Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Asylbewerbers wegen Anspruchs auf Zusammenleben mit seiner Familie

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde eines türkischen Asylbewerbers kurdischer Volkszugehörigkeit einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde betraf die Frage, inwiefern sich aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) ein Anspruch eines Asylbewerbers auf Zusammenleben mit seiner Familie während des Asylverfahrens auch dann ergibt, wenn aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen verschiedene Länder für die Durchführung der Asylverfahren der einzelnen Familienmitglieder zuständig sind.

I.
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste im Oktober 1995 aus der Türkei nach Spanien ein, wo er um politisches Asyl nachsuchte. Seine Ehefrau und sein Kind hatten zuvor in Deutschland Asylanträge gestellt, die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt wurden. Die gegen die Ablehnung gerichteten Klagen sind noch beim Verwaltungsgericht Braunschweig (VG) anhängig.

Der Beschwerdeführer, der zunächst in die Türkei zurückgekehrt war, reiste im Dezember 1995 auf dem Luftweg nach Deutschland ein, wo er einen Asylantrag stellte. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt als unbeachtlich ab, weil Spanien gemäß Art. 30 Abs. 1 Buchst. f des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (SDÜ) für die Behandlung des Asylbegehrens zuständig sei.

Das SDÜ lautet auszugsweise:

Artikel 30
1) Die für die Behandlung eines Asylbegehrens zuständige Vertragspartei wird folgendermaßen bestimmt: …
f) Stellt ein Drittausländer, dessen Asylbegehren bereits von einer Vertragspartei behandelt wird, ein weiteres Asylbegehren, so ist die Vertragspartei zuständig, bei der das Asylverfahren anhängig ist.


Art. 29 Abs. 4
Unbeschadet des Absatzes 3 behält jede Vertragspartei das Recht, bei Vorliegen besonderer Gründe, insbesondere des nationalen Rechts, ein Asylbegehren auch dann zu behandeln, wenn die Zuständigkeit aufgrund dieses Übereinkommens bei einer anderen Vertragspartei liegt.

Artikel 36
Jede für die Behandlung des Asylbegehrens zuständige Vertragspartei kann bei Vorliegen humanitärer, insbesondere familiärer oder kultureller Gründe eine andere Vertragspartei um die Übernahme der Zuständigkeit bitten, sofern der Asylbegehrende dies wünscht. Es liegt im Ermessen der ersuchten Vertragspartei, ob sie diesem Ersuchen stattgibt.

Eine gegen diesen Bescheid des Bundesamtes gerichtete Klage wurde vom VG abgewiesen. Nach Art. 35 SDÜ setze die Übernahme eines Asylverfahrens u.a. voraus, daß dem anderen Familienangehörigen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, was hier noch nicht geschehen sei.

Das Asylbegehren des Beschwerdeführers wurde im September 1996 in Spanien abgelehnt. Nach seiner Überstellung nach Spanien kehrte der Beschwerdeführer illegal nach Deutschland zurück, wo er sich seither aufhält.

Der Beschwerdeführer rügte u.a. einen Verstoß gegen seine Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG durch die Entscheidung des VG.

II.
Die 1. Kammer des Zweiten Senats hat die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Das VG hat das Grundrecht aus Art. 6 GG berücksichtigt, ist aber davon ausgegangen, daß dem Asylbewerber in aller Regel kein Anspruch darauf erwachse, daß sein Asylverfahren wie die Verfahren seiner Familienangehörigen im Bundesgebiet durchgeführt werden müsse. Diese Einschätzung begegnet vor dem Hintergrund des Hinweises darauf, daß die Trennung nur vorübergehend und deshalb zumutbar sei, im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Inwiefern es verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG tragfähig ist, bei der Anwendung von Art. 29 Abs. 4, 36 SDÜ (Wortlaut s.o.) nur solche besonderen Gründe und außergewöhnlichen Umstände zu berücksichtigen, die über die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Familieneinheit hinausgehen, insbesondere ob dem Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ausreichend Genüge getan ist, wenn minderjährige Kinder sich während eines mehrjährigen Asylverfahrens (nur) jedenfalls bei einem Elternteil aufhalten, kann hier offenbleiben. Denn der Beschwerdeführer hat selbst durch autonom getroffene Entscheidungen die Familieneinheit zunächst aufgegeben.

Hiervon ausgehend ist für einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Spanien nichts ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer in Spanien als Asylbewerber abgelehnt worden ist. Deshalb besteht auf seiner Seite auch keine Ungewißheit über die Dauer seines eigenen Asylverfahrens, und er ist darauf zu verweisen, ggf. von seinem Heimatstaat aus die Wiedereinreise nach Deutschland zu seiner Familie zu betreiben.