Druckversion
Kategorie: Schmerzensgeld

Haftung eines Busfahrers

Sturz, Hüftgelenk, Schaden, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Haftung, Schuld


Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 29.10.1999
OLG Oldenburg, Urteil vom 06.07.1999, Az.5 U 62/99

Busfahrer darf anfahren, ohne zu prüfen, ob alle sitzen oder Halt haben

Zusammenfassung: Ein Busfahrer muss sich im Normalfall nicht beim Anfahren vergewissern, ob alle Passagiere Platz oder Halt gefunden haben. Das gilt auch dann, wenn eine alte Dame ohne erkennbare Behinderungen einsteigt. Auch wenn jemand beim Einsteigen einen Schwerbehindertenausweis zeigt, muss der Fahrer beim Anfahren nicht auf ihn achten, weil solche Ausweise nicht nur wegen Bewegungsbehinderungen ausgestellt werden.

Langinformation:
Im November 1996 fiel eine 71jährige in einem Linienbus hin, als der Bus anfuhr. Sie hatte sich zunächst festgehalten, wollte dann aber zu einem Sitzplatz gehen. Durch den Sturz brach sie sich den Oberschenkel. Die alte Dame hatte zwar eine Hüftgelenksprothese, war aber damit gut beweglich.

Sie verklagte den Busfahrer, das Busunternehmen und die KFZ-Haftpflichtversicherung auf Schmerzensgeld (und auf Feststellung, dass ihr zukünftiger materieller Schaden zu ersetzen sei). Ein Schmerzensgeldanspruch besteht nur dann, wenn der Schädiger schuldhaft gehandelt hat.

In der Verhandlung vor dem Landgericht Oldenburg ließ sich nicht beweisen, dass der Busfahrer besonders schnell angefahren war. Fest stand danach nur, dass er sofort nach dem Schließen der Türen angefahren war. Das Landgericht war der Auffassung, dass der Fahrer damit hätte rechnen müssen, dass die alte Dame noch keinen sicheren Halt gefunden hatte, und gab der Klage dem Grunde nach statt.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Klage mit Urteil vom 6.7.1999 abgewiesen. Der Schmerzensgeldanspruch scheitere am mangelndem Verschulden. Ein Busfahrer dürfe darauf vertrauen, dass sich die Fahrgäste selbst sofort festen Halt verschafften. Etwas anderes könne ausnahmsweise dann gelten, wenn für den Fahrer leicht erkennbar sei, dass ein Fahrgast dazu nicht imstande sein könnte, also bspw. bei offensichtlichen schweren Behinderungen. Davon sei aber nicht bereits aufgrund des Alters eines Fahrgastes auszugehen. Auch wenn ein Schwerbehindertenausweis gezeigt werde, müsse der Busfahrer nicht von einer Körperbehinderung ausgehen. Dies ergebe sich schon daraus, dass solche Ausweise auch für Leiden, bei denen keinerlei Bewegungseinschränkungen vorliegen, ausgestellt werden.

Wörtlich heißt es dann in dem Urteil:

" Jede andere Betrachtensweise würde die Anforderungen an einen Busfahrer überspannen, der in erster Linie die Verkehrsvorgänge zu beachten und ihren besonderen Gefahren beim Anfahren und Einfädeln in den normalen Fahrverkehr entgegenzuwirken hat. ... Ein Fahrgast kann daher regelmäßig nicht davon ausgehen, dass der Fahrer auf ihn besonders achtgibt, solange - wie hier - besondere Anhaltspunkte nicht bestehen, die ihn zu besonderer Aufmerksamkeit geradezu drängen".

Die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden - die kein Verschulden voraussetzt - wies das Oberlandesgericht ab, weil keinerlei Hinweise vorlägen, dass die Klägern zukünftig infolge des Unfalls materielle Schäden erleiden werde.