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Kategorie: Schmerzensgeld

Aufklärungspflicht des Arztes bei Augenoperation

Operation, Arzt, Augen, Risiko, Hinweispflicht, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Haftung


Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 18.03.1999
OLG Oldenburg, Urteil vom 08.12.1998, 5 U 116/98

Zur Aufklärungspflicht des Arztes bei Augenoperation

Zusammenfassung:
Auch wenn beim grauen Star aus medizinischer Sicht eine Operation die einzige Möglichkeit ist, langfristig ein Erblinden zu vermeiden, so muss der behandelnde Arzt dennoch den Patienten darauf hinweisen, dass ein geringes Risiko besteht, bereits durch die Operation selber zu erblinden.

Langinformation:
Eine Hausfrau aus Damme war am rechten Auge am grauen Star, also einer Eintrübung der Linse, erkrankt. In einer sog. Katarakt-Operation sollte die Linse entfernt und eine neue eingesetzt werden. Bei der Operation kam es zu einer Kapselruptur, es verblieben Reste der alten Linse im Auge. Die ursprünglich eingesetzte Hinterkammerlinse wurde in einer zweiten Operation durch eine Vorderkammerlinse ersetzt. Das Sehvermögen der Patientin verschlechterte sich durch die Operation deutlich.

Vor der Operation hatte der Arzt die Patientin nur darauf hingewiesen, dass bei der Operation die Linsenrinde verletzt werden könnte. Bei entsprechender Weiterbehandlung könnte würde die Operation zwar insgesamt noch einen Erfolg bringen, der sei aber nicht so weitgehend wie der erwünschte. Auf das - tatsächlich bestehende, jedoch geringe - Risiko, dass weitere Operationen notwendig werden könnten oder die Operation sogar zur Erblindung führen könne, wies der Arzt nicht hin.

Die Patientin klagte vor dem Landgericht Oldenburg auf Zahlung von Schmerzensgeld und auf Feststellung, dass der Arzt verpflichtet sei, ihr zukünftige Schäden zu ersetzen. Das Landgericht, das ein medizinisches Sachverständigengutachten einholte, wies die Klage ab. Ein Operationsfehler lag nicht vor. Nach den Feststellungen der Gutachter besteht auch bei fachgerecht ausgeführten Katarakt-Operationen immer ein Risiko einer Kapselruptur. Offen ließ das Landgericht die Frage, ob der Arzt auf das Erblindungsrisiko hätte hinweisen müssen. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, sie hätte bei einer entsprechenden Aufklärung möglicherweise auf die Operation verzichtet, weil sich das Sehvermögen ohne Behandlung des grauen Stars bis hin zur Erblindung ständig weiter verschlechtere und die Operation die einzige Behandlungsmöglichkeit darstelle.

Auf die Berufung der Klägerin hin verurteilte das Oberlandesgericht den Arzt zur Zahlung von 7.000,- DM Schmerzensgeld; es stellte zugleich fest, dass dieser verpflichtet ist, der Klägerin zukünftige Schäden zu ersetzen. Danach haftet der Arzt, obwohl ihm kein Fehler bei der Operation angelastet werden können, wegen fehlerhafter Aufklärung (die dazu führt, dass die Einwilligung des Patienten in die Operation nicht wirksam ist).

In der Urteilsbegründung heißt es:

"Die Sachverständige hat unmissverständlich und überzeugend ausgeführt, dass sie es aus ihrer medizinischen Sicht für wichtig hält, Patienten u.a. darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie als Folge dieser Operation vollständig erblinden können. Dem entspricht die von der Rechtsprechung auch des erkennenden Senats seit langem aufgestellte Forderung, dass der Arzt auch auf seltene oder sogar extrem seltene Risiken hinzuweisen hat, wenn bei ihrem Eintritt die Lebensführung erheblich berührt wird. Die geschuldete patientenbezogene Aufklärung verlangt das Maß an Erläuterungen, das den Patienten angesichts seiner beruflichen und privaten Lebensgestaltung in den Stand versetzt, Vor- und Nachteile der beabsichtigten Behandlung abzuwägen. Nur so kann erreicht werden, dass der Patient im großen und ganzen weiß, worin er einwilligt. Dem hat der Beklagte nicht genügt, wenn er die Klägerin nicht über das ... Erblindungsrisiko unterrichtete. Der Entscheidungskonflikt, in den die Klägerin bei entsprechender Aufklärung geraten wäre, hat die [Klägerin in der] Berufung plausibel dargelegt. Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass ein solches - wenn auch seltenes - Risiko jedenfalls Anlass gibt, zunächst darüber nachzudenken, wann und von wem dieser Eingriff durchgeführt werden soll. ... dass es letztendlich zu der Operation keine echte Behandlungsalternative gibt, ändert an dieser bestehenden Konfliktsituation nichts. ..."

Bei der Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtigte das Gericht, dass das Auge der Klägerin stark vorgeschädigt war und dass durch eine neue Operation möglicherweise eine Besserung der Sehfähigkeit erreicht werden kann.

Das Urteil ist rechtskräftig.