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Kategorie: Strafrecht

Richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchung verfassungswidrig

Richter, Anordnung, Ermittlung, Wohnung, Durchsuchung, Verstoß, Grundrecht, Rechtsstaatsprinzip


Pressemitteilung des BVerfG vom 07.04.1999, Nr. 42/1999
Beschluss vom 22.03.1999, Az. 2 BvR 2158/98

Verfassungswidrige Wohnraumdurchsuchung

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde-Verfahren festgestellt, daß eine wegen Verdachts einer ausländerrechtlichen Ordnungswidrigkeit richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchung wegen Verstoßes gegen Art. 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung) i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des GG verfassungswidrig war.

I.
Der Beschwerdeführer, ein abgelehnter Asylbewerber, hatte beim Standesamt Geburtsurkunde und Ledigkeitsbescheinigung vorgelegt. Der Aufforderung der Ausländerbehörde, weitere Unterlagen zum Nachweis seiner Identität vorzulegen, war er nicht nachgekommen. Daraufhin erließ das Amtsgericht (AG) einen Durchsuchungsbeschluß. Zur Begründung verwies es auf den "Verdacht des Ordnungswidrigkeitsverstoßes nach dem Ausländergesetz"; die "bei der Durchsuchung etwa aufgefundenen sachdienlichen Gegenstände, insbesondere Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen" seien zu beschlagnahmen.

Nach der Durchsuchung erhob der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des AG Beschwerde zum Landgericht (LG). Diese wurde als unbegründet verworfen. Der lediglich formelhaft abgefaßte Durchsuchungsbeschluß sei zwar unzureichend gewesen. Der Beschwerdeführer sei aber zum Zeitpunkt des Erlasses einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 40 AuslG verdächtig gewesen, weil er dem Verlangen der Behörde, Identitätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen sei.

II.
Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte Erfolg. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen worden.

Der Beschluß des AG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht Art. 13 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.

Eine Durchsuchung ist regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen. Sie steht daher unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist Aufgabe des Richters, durch geeignete Formulierungen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, daß der Eingriff in die Grundrechte meßbar und kontrollierbar bleibt. Ein Durchsuchungsbeschluß, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält, wird diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Angaben nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind.

Diesem Maßstab genügt der Beschluß des AG nicht. Er enthält ohne rechtfertigenden Grund weder tatsächliche noch rechtliche Angaben zum Tatvorwurf. Allein der Hinweis, es gehe um eine ausländerrechtliche Ordnungswidrigkeit und insbesondere seien Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen zu beschlagnahmen, läßt keinen Rückschluß auf eine bestimmte Tat zu.

Der Beschluß des LG setzt den Verfassungsverstoß des AG fort. Auch seiner Entscheidung läßt sich kein hinreichend bestimmter Tatvorwurf entnehmen. Neben der Bezeichnung der Vorschrift des Ausländergesetzes führt das Gericht nur aus, der Beschwerdeführer sei dem Verlangen der Behörde, Identitätspapiere vorzulegen, nicht nachgekommen. Um welche Papiere es sich handeln soll, wird nicht angegeben. Die vom AG genannten Geburtsurkunden und Ledigkeitsbescheinigungen fallen jedenfalls nicht unter die vom LG bezeichnete Vorschrift des AuslG.

Im übrigen rechtfertigt nicht allein die Vermutung, der Beschwerdeführer könne im Besitz von Identitätspapieren im Sinne der Bußgeldvorschrift sein, ohne weitere tatsächliche Anhaltspunkte die Anordnung der Durchsuchung. Ein solcher Eingriff muß in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und zur Schwere der Tat stehen. Dieses Verhältnis ist bei der Vermutung einer Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von höchstens 5.000,-- DM bewährt ist, nicht gewahrt.