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Kategorie: Verkehrsrecht

Haftung für Spätfolgen eines Verkehrsunfalls

Verkehrsunfall, Unfall, Fahrradunfall, Schäden, Vorschädigung, Folgeschäden, Haftung


BGH, Urteil vom 26.01.1999, Az. VI ZR 374/97

Leitsatz:

Zur Einstandspflicht des Schädigers für einen Schaden, wenn der Schädigungsbeitrag, für den er verantwortlich ist, nur ein Faktor in einem "Ursachenbündel" ist, das den Gesamtschaden herbeigeführt hat.

Tatbestand gekürzt:
Die Klägerin kam am 12. Juni 1991 als Radfahrerin zu Fall, nachdem sie ein LKW des Erstbeklagten überholt hatte. Sie erlitt bei diesem Sturz Verletzungen, deren Umfang und Folgen im einzelnen streitig sind. Es ist jedoch außer Streit, daß der Erstbeklagte und neben ihm die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer für die Unfallfolgen einstehen müssen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe sich durch den Sturz vom Fahrrad neben Blutergüssen ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen, dessen Spätfolge ein Psychosyndrom sei, das ihre geistige Leistungsfähigkeit und ihr körperliches Wohlbefinden beeinträchtige und sie außerstande setze, ihren Zwei-Personen-Haushalt wie bisher eigenständig zu führen.

Aus der Urteilsbegründung:
"(...) I. Das Berufungsgericht, das ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt hat, hat sich im Unterschied zum Landgericht nicht davon überzeugen können, daß die Beschwerden, aus denen die Klägerin die Klageansprüche herleitet, auf dem Unfall vom 12. Juni 1991 beruhen. Bei diesem Unfall habe die Klägerin lediglich ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades erlitten. Eine Verschlechterung ihres Zustandes mit spezifisch psychopathologischer Beschwerdeentwicklung sei erst im Dezember 1991 aufgetreten. Ein ursächlicher Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Fahrradsturz sei nicht bewiesen. Die Klägerin leide seit 1971 unter einem neurasthenischen Syndrom; außerdem seien im August 1990 Angst- und Unruhezustände sowie psychische Erschöpfungszustände aufgetreten. Das bei dem Unfall erlittene Schädel-Hirn-Trauma habe im Rahmen der danach festgestellten Veränderung der Befindlichkeit der Klägerin, der Herausbildung von psychischen Störungen und Funktionsstörungen sowie der Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit den Stellenwert eines einzelnen Faktors im Zusammenwirken mehrerer Faktoren in einem typischen Ursachenbündel, keineswegs jedoch eine herausragende, gegenüber den anderen Faktoren überwiegende Bedeutung bei der Verursachung der weiteren Beschwerdeentwicklung.

II. Die Revision hat Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, daß das Berufungsgericht auf dem Boden des in der zweiten Instanz eingeholten Sachverständigengutachtens die Kausalität der bei dem Fahrradsturz erlittenen Verletzungen für die Beschwerden verneint hat, unter denen die Klägerin jetzt leidet und auf die sie die Klageansprüche stützt. Das Berufungsurteil ist insoweit in sich widersprüchlich. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die zunächst getroffene Feststellung, eine Kausalität zwischen dem Sturz der Klägerin und dem entstandenen Psychosyndrom sei nicht gegeben, weiter - in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen - ausgeführt, das von der Klägerin bei dem Unfall erlittene Schädel-Hirn-Trauma habe im Rahmen der Veränderung ihrer Befindlichkeit, der Herausbildung von psychischen Störungen und Funktionsstörungen sowie der Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit den Stellenwert eines einzelnen Faktors im Zusammenwirken mehrerer Faktoren in einem typischen Ursachenbündel, keineswegs jedoch eine herausragende, gegenüber den anderen Faktoren überwiegende Bedeutung bei der Verursachung der weiteren Beschwerdeentwicklung. Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zu der zuvor angenommenen fehlenden Kausalität. Sie lassen offen, ob die bei dem Sturz vom Fahrrad aufgetretenen Verletzungen der Klägerin auf eine durch frühere Beschwerden vorbelastete Befindlichkeit der Klägerin getroffen sind und dadurch das jetzige Beschwerdebild hervorgerufen haben. In einem solchen Fall, in dem die durch den Unfall hervorgerufenen Verletzungen der Klägerin als "Auslöser" im Sinne einer Mitursache gewirkt hätten, müßten die Beklagten - worauf die Revision zutreffend hinweist - für die Folgen der jetzigen Beschwerden der Klägerin aufkommen. Das gilt auch dann, wenn die Wirkung der Unfallverletzungen nur deshalb eingetreten ist, weil die Klägerin aufgrund ihrer besonderen Konstitution und ihrer Vorschädigungen für die jetzigen Beschwerden besonders anfällig war. An der Einstandspflicht der Beklagten ändert sich grundsätzlich selbst dann nichts, wenn das jetzige Beschwerdebild in einer psychischen Fehlverarbeitung der Unfallfolgen seine Ursache hat. (...)"