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Kategorie: Strafrecht

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen "Brechmitteleinsatz"

Brechmittel, Strafverfahren, Beweismittel, Kokain-Bubbles, Magen, Menschenwürde, Verurteilung, Verwertungsverbot


Pressemitteilung des BVerfG vom 29.09.1999, Nr. 103/1999
Beschluss vom 15.09.1999, Az. 2 BvR 2360/95

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen "Brechmitteleinsatz"

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die Zwangsvergabe von Brechmitteln zum Zwecke der Sicherstellung von Beweisgegenständen in einem Strafverfahren (hier: "Kokain-Bubbles") nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Nichtannahme ist aus Gründen der Subsidiarität der Vb (vgl. unten II.) erfolgt. Die verfassungsgerichtliche Entscheidung gibt also keine Auskunft darüber, ob die Verabreichung der Brechmittel, die jedenfalls im Hinblick auf die durch Art. 1 Abs. 1 geschützte Menschenwürde und den in Art. 1 Abs. 1 GG enthaltenen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet, verfassungsrechtlich zu beanstanden war oder nicht.

I.
Der Beschwerdeführer (Bf) ist wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Grundlage der Verurteilung war u.a. ein "Kokain-Bubble", das dieser erbrochen hatte, nachdem ihm auf Anordnung der Staatsanwaltschaft durch eine Ärztin zwangsweise Brechmittel verabreicht worden waren. Gegen die Verurteilung erhob der Bf Vb: Das "Kokain-Bubble" hätte nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen, weil die Zwangsvergabe des Brechmittels gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verstoße.

II.
Die Vb ist wegen des Grundsatzes der Subsidiarität unzulässig.

Dieser Grundsatz erfordert nicht nur die Erschöpfung des Rechtswegs. Er soll auch sicherstellen, daß das BVerfG weitreichende Entscheidungen nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage trifft. Dem liegt u.a. die Erwägung zugrunde, daß das BVerfG vor seiner Entscheidung Gelegenheit haben soll, zunächst die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der Fachgerichte kennenzulernen. Dadurch bleibt sichergestellt, daß der Vorrang gewahrt bleibt, der den allgemein zuständigen Gerichten bei der Sachverhaltsermittlung wie bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften nach der gesetzlichen Kompetenzordnung und im Hinblick auf die größere Sachnähe gebührt.

Dieser Vorrang ist auch im vorliegenden Verfahren beachtlich. Im Hinblick auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sind verfassungsrechtlich relevante, insbesondere medizinische Fragen zu klären. Diese Klärung herbeizuführen, ist nicht Sache des BVerfG. Eine solche Klärung wäre jedoch durch die Fachgerichte möglich gewesen, wenn der Bf im sachnäheren Strafverfahren alle prozessualen Möglichkeiten genutzt hätte, um eine mögliche Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit zu verhindern.